»Qualitätsoffensive Bahn« Geflüchteter wird im Zug Opfer einer rassistischen Polizeikontrolle und im Anschluss verurteilt

kopEine Prozessbeobachtung
Antirassistisches Netzwerk Sachsen-Anhalt

Im Frühjahr 2014 wird Oumarou Hamani Ousman im Zug von Halle nach
Bitterfeld von zwei Beamten der Bundespolizei angesprochen, ob er ein
paar Fragen, die sie ihm im Rahmen einer Umfrage stellen wollen,
beantworten könnte. Ousman hat kein Interesse an der Befragung
teilzunehmen und geht dementsprechend nicht auf das Anliegen der Beamten
ein. Daraufhin entscheiden diese, nach seinen Ausweispapieren zu
verlangen. Als Ousman wissen will, wieso er kontrolliert werden soll und
sich weigert, seine Papiere vorzuzeigen, eskaliert die Situation. Ousman
wird in Handschellen gelegt, unter Einsatz weiterer Beamten aus dem Zug
geführt und zur Identitätsfeststellung, angeblich weil das Foto auf
seinen Papieren nicht eindeutig zu erkennen ist, auf eine Wache nach
Dessau verbracht. Nachdem seine Identität überprüft wurde – es gab
nichts zu beanstanden – wird er aus der Wache entlassen.

Im Anschluss erreicht Ousman eine Anklage wegen Widerstand gegen
Vollstreckungsbeamte, Beleidigung (er habe die Beamten als Rassisten
bezeichnet) und versuchter Körperverletzung (gegen die Beamten). Ousman
selbst erlitt durch die brutale einstündige Fesselung bleibende Schäden
an den Fingern. Hinzukommt die psychische Belastung infolge der
rassistischen Erfahrung und gewaltvollen Festnahme. Einmal mehr musste
Ousman erleben, dass eine ungestörte Reise durch Deutschland für ihn als
Schwarzen Menschen offenbar nicht möglich ist und immer die Gefahr
birgt, kontrolliert, festgenommen und im Nachhinein vor Gericht gezerrt
zu werden.

Im April fand nun der Prozess gegen Ousman am Amtsgericht Bitterfeld
statt. Während der beiden Prozesstage traten erhebliche Widersprüche in
den Aussagen der beteiligten Polizisten zu Tage. Zwei von ihnen
verstanden den Einsatz als Teil einer »Qualitätsoffensive« der Deutschen
Bahn, in deren Rahmen Fahrgäste – freiwillig –
nach Auffälligkeiten wie Vandalismus befragt werden sollten. Im
Gegensatz dazu wähnte sich der dritte Beamte auf der Suche nach illegal
eingereisten Personen, die er anhand ihres »ausländischen Aussehens«
erkennen wollte. Diese polizeiliche Praxis des Racial Profilings, also
der Kontrolle aufgrund rassistischer Zuschreibungen, ist spätestens in
den letzten Jahren vermehrt in die öffentliche Kritik geraten. Auch
Ousman musste in den Jahren, die er in Deutschland lebt, schon mehrfach
solche Kontrollen über sich ergehen lassen.

Anhand der Befragung eines weiteren, zivilen, Zeugen konnte vor Gericht
geklärt werden, dass es sich bei dem Polizeieinsatz tatsächlich um eine
freiwillige Fahrgastbefragung handelte, bei der keinerlei Pflicht zur
Teilnahme und Beantwortung der Fragen bestand. Trotzdem konnten sich die
Polizisten mit der Ablehnung Ousmans nicht zufrieden geben. Aus dem
vermeintlich »aggressiven« Tonfall, in dem Ousman seine Ablehnung
geäußert habe, konstruierte einer der Beamten vor Gericht ein
Verdachtsmoment, das die nach-folgende Identitätsfeststellung mitsamt
ihrer Eskalation begründet habe. Dass man sich nach mehrfach erlebten
rassistischen Kontrollen nicht so kooperativ verhält, wie es deutsche
PolizeibeamtInnen anscheinend immer und überall voraussetzen, hielten
während der Verhandlung anscheinend weder die beteiligten Beamten noch
Richterin und Staatsanwältin für nachvollziehbar.

Abgesehen von dem zweifelhaften Verdachtsmoment entbehrte das Vorgehen
der Polizisten jeglicher Rechtsgrundlage. Ousmans Verteidiger vor
Gericht, Rechtsanwalt Ulrich Klinggräff, sagte dazu: »Es gab keine
Pflicht zur Beantwortung der Fragen und deshalb auch keine
Rechtsgrundlage für die Identitätsfeststellung meines Mandanten. Wenn
das polizeiliche Vorgehen rechtswidrig war, kann auch kein Widerstand
begangen worden sein. Widerstand gegen die Staatsgewalt setzt voraus,
dass das polizeiliche Verhalten rechtmäßig war.«

Im Verlauf der Verhandlung ließen Richterin und Staatsanwältin zudem
keinen Zweifel an ihrem Unmut und ihrem Desinteresse, wenn das Thema
Rassismus angesprochen wurde. Auch in einem anderen Prozess gab es
seitens derselben Richterin kein Interesse, den rassistischen
Hintergrund einer Tat näher zu beleuchten oder gar in Urteil und
Strafmaß einfließen zu lassen. Ousman war 2013 Opfer eines gewalttätigen
rassistischen Übergriffs durch einen mehrfach vorbestraften Mann
geworden. Dieser bedrohte ihn mit einem Messer und verletzte ihn mit
einem Faustschlag im Gesicht. Zwar wurde der Angreifer Anfang diesen
Jahres verurteilt, aber der rassistische Hintergrund der Tat spielte
dabei keine Rolle.

Im Vergleich dazu scheint die Motivation zur Verurteilung Ousmans
deutlich größer zu sein. Dies zeigt sich auch daran, dass ihm zu Beginn
der Verhandlung zusätzlich der Vorwurf einer Körperverletzung des
Heimleiters in Friedersdorf gemacht wurde, der aber letztendlich fallen
gelassen werden musste. Von 2012 bis 2013 protestierten Geflüchtete
gegen die Zustände in den Lagern Friedersdorf und Marke, die
infolge-dessen vermehrt öffentlich in der Kritik standen.1 Ousman war an
den Protesten maßgeblich beteiligt und ist darüber hinaus auch in
anderen politischen Netzwerken, wie The Voice, der Karawane für die
Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen und Afrique-Europe-Interact
aktiv. Angesichts des gesamten Verfahrens stellt sich die Frage, ob hier
nicht auch ein Interesse bestand, einen politisch missliebigen
Aktivisten einzuschüchtern.

Fazit

Der Prozess in Bitterfeld zeigt einmal mehr, wie gängig und normal
Racial Profiling durch deutsche PolizeibeamtInnen ist. Es ist darüber
hinaus zweifelhaft, dass die involvierten BeamtInnen sich des Rassismus,
der ihrem Handeln zugrunde liegt, bewusst sind oder sie gar angesichts
der Folgen für den Betroffenen Abstand von dieser Praxis nehmen.
Gleiches gilt für die Richterin, die Racial Profiling für eine legitime
Polizeistrategie hält und die auf einen Einwand aus dem Publikum mit der
Frage reagierte »Wie wollen Sie denn sonst Ausländer erkennen wenn nicht
an der Hautfarbe?«

Eine Prozessführung wie in Bitterfeld leistet rassistischen
Polizeikontrollen Vorschub und legitimiert diese. Zu einem ähnlichen
Ergebnis kommt auch der kürzlich veröffentlichte Abschlussbericht zur
Umsetzung der UN-Antirassismuskonvention in Deutschland. Er empfiehlt
unter anderem antirassistische Schulungen für Polizei und Justizbeamte
und die Abschaffung von Racial Profiling. Auch die Deutsche Bahn ist in
der Verantwortung, das Thema anzugehen und dafür Sorge zu tragen, dass
alle ihre Fahrgäste unbehelligt und sicher am Ziel ankommen, anstatt
grundlos kontrolliert oder gar festgenommen zu werden.

Es bleibt zu hoffen, dass Kontrollen wie im Falle Ousmans dadurch in
Zukunft nicht mehr stattfinden und die stets wiederkehrende
Opfer-Täter-Umkehrung endlich ein Ende hat. Denn der Prozess ist auch
beispielhaft dafür, wie Opfer rassistischer Kontrollen und Übergriffe
immer wieder zu Tätern gemacht werden, wenn sie sich wehren und
Rassismus als solchen benennen.

Ousman wurde wegen Beamtenbeleidigung und Widerstand gegen
Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe verurteilt. Er und sein Anwalt
haben bereits angekündigt, gegen das Urteil in Berufung zu gehen.

für eine PDF Version der Presseerklärung, hier PM Urteil Qualitätsoffensive Racial Profiling

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